Mit der Tante Anna übers Land

von Hans Sedlmaier

Willst Du mit einer Antonov mitfliegen?

Die Frage brachte mich Nichtflieger ins Grübeln. Soll ich wirklich in dieses Riesen-Russen-Monster steigen? Erst die Aufklärung, daß der gigantischeTransporter die Tupolev ist, und die Antonov beide übrigens auf der ersten Silbe betont - ein kleines, feines Propeller-Flugzeug, in das maximal eine Fußballmannschaft passt, machte mir die Entscheidung leichter. Warum nicht?
Mal probieren.
Am Sonntag, 10. April, stehe ich auf dem Nürnberger Flughafen, von woaus unser Flug nach Bad Wörishofen gehen soll. Den Piloten Andreas Wild kenne ich noch nicht. Er hat die Antonov gerade aus Magdeburg hergeflogen, wo sie den Winter über untergebracht und gewartet worden war.
"Tante Anna", wie sie auch liebevoll genannt wird, kommt zum ersten Mal in diesem Jahr wieder zum Einsatz. Wer das Nürnberger Land von oben sehen will, kann das in einem etwa 15 Minuten dauernden Rundflug tun. Als alle Interessenten bedient sind, geht es an den Heimflug, den Flug, auf dem ich dabei sein darf.
Andreas Wild entpuppte sich als der Typ von Pilot, dem man sich als Passagier gern anvertraut. Offen, herzlich, kompetent und hellwach, von so einem zuverlässigen Sympathieträger lässt man sich bedenkenlos in 500 bis 700Meter Höhe durch die Lüfte schaukeln.
Der erste Eindruck von der Antonov: Doch ein ganz schön großer Vogel, fast 13 Meter lang, die Flügel spannen sich über 18,18 Meter. Ich erfahre,dass die vor uns stehende Antonov 2 das größte Doppeldeckerflugzeug der Welt und ein genialer Kontrukteursstreich ist. 150 Meter Startbahn reichen ihr, um in die Lüfte zu gehen. Das war in der früheren Sowjetunion ideal, um auch in schwierigem Gelände zu starten und zu landen. Daher war die Antonov in der Tundra genauso im Einsatz wie in Sibirien.
Unsere Maschine hat noch mal eine ganz eigene Historie. 1958 gebaut, war sie die meiste Zeit in der ehemaligen DDR im Einsatz, unter anderem flog sie Prominente übers Land. Um ein Gefühl von Luxus zu vermitteln, baute man bequeme Sessel, Tische, Getränkehalter und große, eckige Fenster ein. Veränderungen, die bis heute das Ambiente des Flugzeugs prägen.
Endlich Startfreigabe, wir rollen los. Ich blicke aus dem Seitenfenster und warte auf den Ruck beim Abheben: vergeblich. So sanft haben wir uns über die Schwerkraft hinweggesetzt, dass der Übergang nicht zu spüren war. Langsam beginne ich zu verstehen, was die Faszination eines solchen Fluges ausmacht. Man rast nicht um den Erdball wie mit einem Großraumjet, sondern man tuckert gemächlich über Land. Es ist wie bei einem Busausflug: Man sitzt gemütlich da, schaut aus dem Fenster und bewundert Landschaften und Städte. Nur ziehen die Wälder und Felder nicht an, sondern unter einem vorbei und der Blick ist frei bis zum Horizont.
Man hat Zeit zu genießen. Und doch verstreicht die gute Stunde, die wir an Ingolstadt und Augsburg vorbei bis nach Bad Wörishofen in der Abendsonne fliegen, viel zu schnell. Schon gehen wir in einer langgezogenen Linkskurve in den Landeanflug auf den kleinen Privatflugplatz Bahle-Schmid. Schon zieht die Antonov über die letzten Sträucher hinweg, schon berühren die Reifen den Rasen-Landeplatz und rollen dann ruhig aus. Der gemütliche Überland-Busausflug in 600 Metern Höhe ist beendet und die Ausgangsfrage endgültig beantwortet.
Willst Du mit einer Antonov mitfliegen? Ja, bitte. Wann starten wir?