Antonow An-2

Verliebt in Tante Anna

Die Antonow An-2  ist eines der meistgebauten Flugzeuge der Welt und gehört heute zu den Klassikern am Himmel.
Von Tobias Opitz

Das jederzeit strahlend-weiße Hemd gestärkt, auf den Schultern vier Streifen, gestählter Blick, die Bügelfalten akkurat auch nach vielen Stunden im Cockpit, blitzblankes Schuhwerk und obendrein ein Schuss Sexappeal - so zeichnen Airlines und Werbefotografen gerne das Bild des Berufspiloten.

Die Antonow, ein fliegendes Urviech

Andreas Wild, 45, ist einer von ihnen, nur: Sein weißes Hemd mit den vier Streifen zeigt schon mal den einen oder anderen Ölspritzer, spätestens am Nachmittag sehen die Hände nach echter Arbeit aus und auch die Schuhe lassen nach.
Den Schuss Sexappeal aber hat er für die Damen im Flugplatzcafé in Bad Wörishofen dennoch, denn: Andreas Wild sitzt im Cockpit einer Antonow An-2, dem weltweit größten Doppeldecker. Ein fliegendes Urvieh und für den Piloten das schönste Flugzeug überhaupt: "Echte Fliegerei", schwärmt er, "und wirklich nichts für Atari-Piloten."
Allein schon die Motordaten flößen Respekt ein: Ein Neun-Zylinder-Sternmotor mit 30 Liter Hubraum und 1000 PS Leistung dreht den vierblättrigen Propeller. 150 bis 200 Liter hochoktaniger Treibstoff und zwei bis drei Liter Schmieröl werden pro Flugstunde verbraucht, wenn die Antonow mit gemütlichen 180 km/h über Berg und Tal brummt.
Dieses Flugzeug - 12,74 Meter lang und mit einer Spannweite von 18,18 Meter - ist eines von annähernd 19.000 seit 1947 gebauten Exemplaren; der Statistik folgend auf Platz drei der weltweit meistgebauten Flugzeuge und eines der sichersten überhaupt.
Das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft der damaligen UdSSR hatte die Entwicklung eines Mehrzweckflugzeuges bei Konstrukteur Oleg Antonow in Auftrag gegeben; am 31. August 1947 hob die An-2 erstmals ab. Die Serienproduktion begann in Kiew, wurde später nach Polen verlagert, China baute lange Jahre in Lizenz.

19.000 Stück wurden seit 1947 gebaut

Bevor Andreas Wild seine "Tante Anna" - dieser Kosenamen entstand bei den DDR-Luftstreitkräften als Antwort auf die "Tante Ju" im Westen - anlassen kann, muss er ihr erst mal auf den Rücken klettern. Vier Meter hoch liegt der Tankstutzen - und Vorsicht ist geboten. Denn die Tragflächen sind nur entlang der Vorderkante mit Metall beplankt, alles andere ist mit Leinen bespannt und durch einen Anstrich imprägniert.
Im engen, über Kopf verglasten Cockpit dann findet sich der "russische Uhrenladen", wie Andreas Wild die Ansammlung kyrillisch beschrifteter Armaturen liebevoll nennt. Eigens für dieses Flugzeug hatte der Elektroingenieur, der die Privatpilotenlizenz seit 1993 hat, im Jahr 2003 die Ausbildung zum Berufspiloten absolviert - zwingende Voraussetzung für den kommerziellen Passagierflug.
Während die Antonows weltweit überwiegend als Fracht- und Agrarflugzeuge oder im militärischen Dienst eingesetzt wurden, ist diese im bayerischen Bad Wörishofen stationierte Maschine mit der heutigen Kennung D-FOKK ein Unikat.
Unter der Werksnummer 19504 in Kiew gebaut, wurde sie im Juli 1958 an die Deutsche Lufthansa der damaligen DDR ausgeliefert und mit der Kennung DM-SKK als Passagierflugzeug zugelassen; ungewöhnlich große Fenster, Lederbestuhlung und kleine Tische im Inneren zeugen noch immer davon. Mehr als 700 Flugstunden ist Wild, der die nach dem Mauerfall nach Südafrika verkaufte Maschine zurückholte, seit April 2004 mit seiner Tante Anna bisher ohne jedes Problem unterwegs; allein in diesem Jahr waren gut 1000 Gäste an Bord.

Abfluggewicht: stolze 5,5 Tonnen

"Was mich und auch die Passagiere an dieser Maschine so fasziniert, ist die Unmittelbarkeit des Fliegens", versucht Andreas Wild seine Liebe zu Tante Anna zu erklären. Und tatsächlich: Wenn unter dem donnernden Getöse des riesigen Sternmotors die Bremsen gelöst werden, sind es nur wenige hundert Meter, bis sich die An-2 trotz ihres maximalen Abfluggewichtes von 5,5 Tonnen leicht wie ein Drachen in den Himmel hebt. In 2000 Fuß Höhe, gut 600 Meter, ist die An-2 dann mit 180 km/h unterwegs, das Dröhnen der neun Zylinder weicht einem gleichmäßigen Brummen. Und das Schönste, so Wild: "Im Sommer kann ich im Cockpit das Seitenfenster aufmachen und den Fahrtwind genießen."
Während des Winters steht Tante Anna nun nahe Dresden auf dem Flugplatz Großenhain, der vorgeschriebene Jahrescheck ist fällig. Im März klettert Andreas Wild dann wieder ins enge Cockpit und freut sich schon: "Die Zeit bis dahin ist für mich die schlimmste."